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Für Profis:
Das ist die geplante neue Leitlinie zum Down-Syndrom, die mir freundlicherweise von ihrem Autor, Dr. Wolfgang Storm zur Verfügung gestellt wurde. Besonders die Tabellen am Ende des Textes sind eine sehr gute Hilfe für Ärzte und Eltern.




A 7   DOWN SYNDROM ( TRISOMIE 21 )

 

ICD-10 Nr. :  Q 90.9

 

 

Definition

 

Das Down Syndrom zählt zu den chromosomalen Aberrationen, das durch ein auffallendes äusseres Erscheinungsbild, typische medizinische Komplikationen und eine Entwicklungsretardierung charakterisiert werden kann.

Es wurde bereits 1866 von dem englischen Arzt Langdon Down als besondere Entität von anderen Menschen mit einer geistigen Behinderung abgegrenzt. 1959 beschrieb Jerome Lejeune das Down Syndrom als erste chromosomale numerische Aberration ( Trisomie 21 ).

 

Häufigkeit

 

1 Kind auf 800 Geburten; weltweites Auftreten

 

Klinische Diagnose

 

Das klinische Bild weist eine Vielzahl typischer Symptome auf:

-          schräge Lidachsenstellung

-          Lidfalte am inneren Augenwinkel ( Epikanthus )

-          „Porzellanflecken“ der Regenbogenhaut ( Brushfield-spots )

-          breite Nasenwurzel

-          unterentwickeltes Mittelgesicht

-          hypotone Zunge

-          hypotone Muskulatur

-          kurze Finger

-          Vierfingerfurche

-          „Sandalenlücke“ ( zwischen erster und zweiter Zehe)

-          deutliche Nackenfalte

 

Das ermöglicht, im Zusammenhang mit häufigen Organfehlbildungen ( z.B. Herzfehler, Duodenalatresie ), meist schon bei Neugeborenen die Diagnose unmittelbar nach der Geburt zu stellen.

Im Rahmen der pränatalen Diagnostik ( Amniozentese, Chorionbiopsie ) kann die Diagnose schon vor der Geburt gestellt werden. Auch der Verdacht auf typische Organfehlbildungen bzw. andere Ultraschallbefunde in der Schwangerschaft lassen vor der Geburt an ein Kind mit Down Syndrom denken.

 

Bestätigung der klinischen Diagnose


Chromosomenanalyse ( Karyotypisierung ). Der häufigste Befund ( ca. 95% ) ist eine freie Trisomie 21, d.h., in allen Zellen finden sich 47 Chromosomen durch ein zusätzliches Chromosom der Gruppe G, Nr. 21 ( deswegen Trisomie 21).

In ca. 3-4% der Fälle findet man den Befund einer Translokation durch Stückaustausch zwischen zwei Chromosomen. Das klinische Erscheinungsbild einer Translokation entspricht den von Menschen mit einer freien Trisomie 21.

Letztlich zeigen 1-2% in der Karyotypisierung ein Mosaik mit einem Nebeneinander von trisomen und normalen Zellen. Das Erscheinungsbild und die Ausprägung des Down Syndroms sind abhängig vom Verhältnis der normalen zu den trisomen Zellen, d.h., vom Zeitpunkt der mitotischen Zellteilungsstörung ( non-disjunction ). Wird ein Kind mit Down Syndrom und einer freien Trisomie 21 oder Translokation meist schon als Neugeborenes diagnostiziert, so kann bei einem Mosaik das klinische Bild oft über Monate bis Jahre verwischen, je weniger Zellen mit einer Trisomie 21 vorhanden sind.

 

Ursache der Zellteilungsstörungen ( non-disjunction )

 

Auch heute noch unbekannt, doch weiß man, dass das Risiko hierfür mit zunehmendem Alter der Mutter ( > 35 Jahre ) deutlich ansteigt. Trotzdem sind 80% der Mütter bei der Geburt ihres Kindes jünger als 35 Jahre und 60% jünger als 30 Jahre.

 

Betreuung und Therapie von Kindern mit Down Syndrom

 

Kinder mit Down Syndrom benötigen psychosoziale und pädagogische Hilfen sowie Unterstützung bei der Überwindung oder Milderung ihrer behinderungsbedingten Beeinträchtigungen, um am Leben in der Gemeinschaft teilnehmen und sich ihren individuellen Bedürfnissen gemäß entwickeln zu können. Darüber hinaus ist eine adäquate medizinische Betreuung eine wesentliche Bedingung für die Entfaltung der eigenen Lebensperspektive. Ausgehend von einem uneingeschränkten Lebensrecht auch für Menschen mit Down Syndrom kann die Unterstützung in drei Bereiche gegliedert werden, die zeitlich parallel lebenslang ausgestaltet werden müssen:

1. Psychosoziale Zuwendung

Auch einem Kind mit Down Syndrom sollte man deutliche psychosoziale Zuwendung signalisieren, nämlich dass es versorgt und geliebt wird ( emotionale Unterstützung ), dass es Ansehen und Wertschätzung genießt ( soziale Unterstützung im engeren Sinn) und dass es einem Netzwerk gegenseitiger Verpflichtungen und sinnstiftender Kommunikation angehört ( Befriedigung des Zugehörigkeitsbedürfnisses ).

2. Förderung der Entwicklung

Hilfestellungen in der Bewältigung alltäglicher Probleme werden heute in Form verschiedener Förderungsmöglichkeiten angeboten, um ein Kind in die Lage zu bringen, sein individuelles Entwicklungspotential erreichen zu lassen: z.B.  – Frühförderung ( Ergotherapie, kranken=

                                                                                 gymnastische Übungen in den ersten drei

                                                                                 Lebensjahren; gebärden-unterstützte

                                                                                 Kommunikation; Frühes Lesenlernen )

                                                                              - Mundmotorische Übungen

                                                                              - Sensorische Integration

                                                                              - Logopädie

3. Medizinische Betreuung

Wie alle Bürger haben auch Kinder mit Down Syndrom – unabhängig von der Schwere ihrer Behinderung – das Recht auf eine angemessene Gesundheitsversorgung: Die Erfüllung dieses Rechtsanspruchs ist zwingende Folge des Grundgesetzes und des dort verankerten Verbots ( Art. 3 des Grundgesetzes ), einen Menschen infolge seiner Behinderung zu benachteiligen.

Der Anspruch auf adäquate gesundheitliche Versorgung ist auch als Ausdruck des Respekts vor der Würde eines behinderten Menschen selbstverständlich. Auf der individuellen Ebene bestehen Ansprüche gegenüber Krankenversicherungen und gegenüber den Sozialhilfeträgern.

 

Menschen mit Down Syndrom weisen häufig besondere gesundheitliche Beeinträchtigungen und Risiken sowie Besonderheiten im Krankheitsverhalten auf. Um eine lebensbegleitende ärztliche Behandlung von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit Down Syndrom zu gewährleisten, ist eine lebenslange medizinische Betreuung zu empfehlen. Hierbei handelt es sich um ein speziell auf diese Patientengruppe ausgerichtetes diagnostisches Vorsorgepro=

gramm. Es basiert auf den in verschiedenen Organ- bzw. Funktionssystemen zu beobachtenden Komplikationen ( Tab.1 ).

In den verschiedenen Altersgruppen wird neben einer allgemeinen Untersuchung nach bestimmten statistisch häufigeren medizinischen Komplikationen gefahndet, um sie frühest-möglich zu erkennen und – wenn möglich – zu behandeln. Dies soll helfen, sonst zu erwartende ungünstige Einflüsse auf die Entwicklung zu vermeiden, d.h., zur Förderung der Entwicklung ist sowohl ein frühzeitiger Beginn einer Entwicklungs-Rehabilitation als auch eine uneingeschränkte Behandlung medizinischer Komplikationen notwendig. Trotz des frühzeitigen Beginns einer Frühförderung kann das Entwicklungspotential eines Kindes z.B. nicht ausreichend ausgeschöpft werden, wenn wiederholte Mittelohrentzündungen mit anschliessendem Seromukotympanon nicht erkannt bzw. nicht behandelt werden und somit einer Hörverminderung mit verzögerter Sprachentwicklung Vorschub geleistet wird.

Ärzte und Eltern sollten diese möglichen Komplikationen des Syndroms kennen und frühzeitig auf die eine medizinische Intervention erfordernden Symptome bzw. Befunde aufmerksam werden. Als Hilfe dienen in den verschiedenen Altersgruppen regelmäßig durchzuführende klinische sowie Laboruntersuchungen ( Tab 2-5 ).

 

Kontroverse medizinische Therapien

 

Schon seit vielen Jahren gibt es medikamentöse Behandlungsversuche, um die geistige Entwicklung und Leistung zu steigern, aber auch vermeintliche Stoffwechseldefekte im Sinne einer medikamentösen Substitution durch Hormone, Vitamine, Mineralien und Spurenelemente zu kompensieren.

„Individualismus“ wird auch vermehrt im Gebrauch therapeutischer Maßnahmen eingefordert, so dass immer mehr Eltern Diskussionen über Möglichkeiten alternativer / komplementärer Methoden als selbstverständliches Behandlungsangebot im klinischen Alltag anmahnen.

Es ist aber festzustellen, dass sich von der Vielzahl medikamentöser Behandlungsmethoden bei Patienten mit Down Syndrom bis heute keine gesicherten Therapien etablieren konnten. Einige der früher propagierten Maßnahmen sind aufgrund erkannter Unwirksamkeit nicht mehr aktuell, weitere sind wegen nachgewiesener, gefährlicher Nebenwirkungen mittlerweile verboten ( Zelltherapie ), andere dagegen erleben gerade Hochkonjunktur (  Folsäure; TNI = Targeted Nutritional Intervention bzw.  „Hap caps“ : gezielte Nahrungsmittelergänzung ) und werden in Elternselbsthilfegruppen heiß diskutiert. Eine gerade erfolgte Empfehlung einer generellen Schilddrüsenhormontherapie schon vom Neugeborenenalter an ( trotz altersentsprechender FT4- und TSH-Werte )  ist ebenso noch mit Zurückhaltung zu begegnen wie die viel zu häufig angewandte Gaumenplatte  nach Castillo Morales zur orofazialen Regulationstherapie, deren frühere Ergebniserwartungen sich in den vergangenen Jahren nicht bestätigen ließen. Es ist deshalb notwendig, diesen  Therapien skeptisch gegenüber zu stehen und kritische sowie befürwortende Argumente sorgfältig abzuwägen und zu überdenken.

 

Trotzdem sollte auf ärztlicher Seite mehr Verständnis dafür aufgebracht werden, wie und warum Eltern konventionelle medizinische Maßnahmen mit alternativen Therapien verbinden

wollen. Insbesondere gilt es Vorurteile darüber abzubauen, dass die Anwendung alternativer Therapien bei behinderten Patienten vorwiegend fehlende Akzeptanz und unangemessene Hoffnungen der Eltern widerspiegeln.

 

Prognose

 

Als mittlere Lebenserwartung für Menschen mit Down Syndrom wird heute ein Alter von 50 bis 60 Jahren beschrieben. Auch wenn in den nächsten Jahren die Lebenserwartung in Jahren noch weiter verbessert werden kann, ist die Art der Lebensqualität v.a. jenseits des 20. Lebensjahres besonders bedeutsam. Wenn psychosoziale Zuwendung, Entwicklungsförderung und medizinische Betreuung in den vergangenen 20 bis 30 Jahren dazu geführt haben, dass Kinder mit Down Syndrom häufiger, regelmäßiger, ungezwungener und körperlich leistungsfähiger am täglichen Leben teilnehmen und somit ihr individuelles Entwicklungspotential besser ausschöpfen können, so lässt die Betreuung der Erwachsenen mit Down Syndrom noch zu wünschen übrig. Deswegen gilt es, die in der Kindheit begonnenen Maßnahmen auch im Erwachsenenalter fortzuführen. Es gilt, die Akzeptanz des individuellen Menschen mit Down Syndrom in Familie, Schule und Gesellschaft trotz seiner begrenzten intellektuellen Möglichkeiten zu verbessern. Quantitative Größen wie der Intelligenzquotient dürfen nicht den Lebensweg eines Kindes oder eines Erwachsenen mit Down Syndrom bestimmen und sie über diese Schiene auf ein Abstellgleis innerhalb der Gesellschaft drängen. Dabei ist es notwendig, ihre mehr qualitativen Eigenschaften wie menschliche Wärme, Mitgefühl, Geduld und Lebensfreude zu würdigen, ihnen mit Respekt zu begegnen und sie als vollwertige Mitglieder unserer Gesellschaft anzuerkennen.

 

Literatur

 

  1. D. McGuire, B. Chicoine: Erwachsene mit Down-Syndrom verstehen, begleiten und fördern. Edition 21 im G&S Verlag, Lauf, 2008
  2. E. Schwinger, J. W. Dudenhausen (Hrsg.): Menschen mit Down-Syndrom. Genetik, Klinik, therapeutische Hilfen. Urban & Vogel, München, 2007
  3. W. Storm: Das Down-Syndrom. Medizinische Betreuung vom Kindes- bis zum Erwachsenenalter. Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart, 1995
  4. E. Wilken: Menschen mit Down-Syndrom in Familie, Schule und Gesellschaft. Lebenshilfe Verlag, Marburg, 2004

      5.   Health supervision for children with Down syndrome. Pediatrics 107: 442-449 ( 2001)

 

 

Dr. med. Wolfgang Storm

Dr. –Everken -Weg 19

33098 Paderborn

E-mail: w.storm@web.de

 

 

Tabelle 1:

Bei Patienten mit Down Syndrom häufig vorkommende medizinische Komplikationen

 

 

KARDIALE KOMPLIKATIONEN

Angeborene Herzfehler (40 – 50 %)

- AV-Kanal

- VSD

- ASD

- PDA

- Fallot'sche Tetralogie

 

Erworbene Herzerkrankungen                      

-          Mitralklappenprolaps (5 – 57 %)

           

Pulmonalarterienhypertonie

- Links-Rechts-Shunt                                        

- Chronische Atemwegsobstruktion durch        

  Tonsillenhypertrophie und Adenoide

- Laryngomalazie

- Makroglossie / Mittelgesichtshypoplasie

- Obstruktive Schlaf-Apnoen

- Häufige Infektionen der oberen Luftwege

- Lungenhypoplasie

- Abnormale Lungengefäße

- Gastroösophagealer Reflux

 

 

SCHILDDRÜSEN- DYSFUNKTIONEN

- Struma

- Hyperthyreose (1 %)

- Hypothyreose:

  - Angeboren

  - Erworbene subklinische (60 % im Kleinkindalter)

  - Autoimmun- Thyreoiditis (20 – 40 % bei Jugendlichen und Erwachsenen)

 - Resistenz der Trisomie 21- Zellen gegen   Schilddrüsenhormone?

 

HAUT

- Alopecia areata (5 %)

 

ZAHNÄRZTLICHE KOMPLIKATIONEN

- Paradontose

- Zahnfehlstellungen

 

 

INFEKTIONEN

- Seromukotympanon (60 % im Kleinkindalter; 37 % schon beim Neugeborenen)                    

- Sinusitis                                                           

- Bronchitis                                                        

- Pneumonie

 

 

 

ORTHOPÄDISCHE KOMPLIKATIONEN

- Atlanto-axiale Instabilität (15 – 30 % asymptomatisch; 1 % symptomatisch)

- Hüftgelenksluxation

- Pes planus                                                       

- Patella-Instabilität                                            

- Skoliose                                                           

- Epiphyseolysis

 

HÄMATOLOGISCHE KOMPLIKATIONEN

- Leukämoide Reaktion des Neugeborenen

- Leukämie                                                        

- Myelofibrose

 

GASTROINTESTINALE

KOMPLIKATIONEN

- Duodenalstenose/ - atresie (8 %)

- Aganglionose (Hirschsprung'sche

  Erkrankung) (5 – 8 %)

- Gastroösophagealer Reflux/ Hiatushernie

- Zöliakie (4 – 17 %)

- Vitamin-B12-Mangel (1,6 %)

 

AUGENÄRZTLICHE KOMPLIKATIONEN

- Strabismus

- Nystagmus

- Keratoconus (0,5 – 15 % bei Jugendlichen und Erwachsenen)

- Katarakte (angeboren: 1 – 2 %; erworben: 14 %)

- Brechungsfehler

- Blepharitis/ Konjunktivitis

 

NEUROLOGISCH/ PSYCHIATRISCHE

KOMPLIKATIONEN

- Infantile Spasmen

  (BNS-Krämpfe)

- Alzheimer'sche Erkrankung

- Autismus

- Depression

- Anorexie

 

   

                                                                            

 

Tabelle 2:

Routineuntersuchungen in der Neugeborenenperiode

 

 

§  Karyotypisierung (Chromosomenanalyse)

 

§  Bestimmung der Schilddrüsenhormonwerte (TSH, FT4), Blutbild

 

§  Kinderkardiologische Untersuchung (einschließlich Echokardiographie)

 

§  Hirnstammaudiometrie (BERA)

 

§  Ausschluß einer angeborenen Katarakt

 

§  Symptome einer gastrointestinalen Problematik? (Erbrechen, verzögerte Mekoniumentleerung)

 

§  Ernährungsberatung

 

§  Untersuchung der Hüftgelenke (einschließlich einer Hüftsonographie)

 

§  Durchführung der auch sonst üblichen Vorsorgeuntersuchungen ( U 1 und U 2 im gelben Untersuchungsheft)

 

§  Beratung der Eltern über Frühförderungsmaßnahmen sowie über sozialmedizinische bzw. finanzielle Hilfestellungen

 

§  Kieferorthopädische Beurteilung (vierte bis sechste Lebenswoche)

 

§  Kontaktaufnahme mit anderen betroffenen Eltern

 

 

  

Tabelle 3:

Routineuntersuchungen im Säuglingsalter

 

 

Anamnestische Daten

§  Infektion?

§  Hinweise auf einen angeborenen Herzfehler?

§  Verstopfung?

 

 

Fachärztliche Untersuchungen

§  Erneute kinderkardiologische Untersuchung (sechster bis achter Lebensmonat)

§  HNO-Untersuchung (Seromukotympanon!)

§  Neurologische Untersuchung

§  Augenärztliche Untersuchung

§  Dokumentation von Gewicht, Größe und Kopfumfang anhand spezieller Wachstumskurven für